Handwerk in der IG Metall „Wer bellt, muss auch beißen können!“

Sommerinterview mit der Vizepräsidentin der Handwerkskammer Mannheim-Rhein-Neckar-Odenwald, Jutta Knapp, und Thomas Hahl, 1. Bevollmächtigter/ Geschäftsführer der IG Metall Mannheim

6. August 2025 6. August 2025


Liebe Jutta, du bist Betriebsratsvorsitzende der Mercedes-Benz Niederlassung Mannheim-Heidelberg-Landau. Vor fast einem Jahr hast du ein weiteres Ehrenamt übernommen, das der Vizepräsidentin in der Handwerkskammer. Wie fällt dein erstes Zwischenfazit aus?

Jutta Knapp: Es fällt gut aus. Ich habe mich zuerst, muss ich zugeben, etwas gesträubt dagegen, noch ein weiteres Ehrenamt zu übernehmen. Das kennt jede und jeder, der sich engagiert. Man kriegt neben dem, was man schon macht, zusätzlich sehr viele Aufgaben. Aber was mich schließlich überzeugt hat, mich stärker in der Handwerkskammer zu engagieren, waren die Menschen, die im Handwerk „schaffen“: Diejenigen, die ich täglich im Betrieb sehe, und diejenigen, mit denen ich in den verschiedenen Kreisen und Netzwerken in der Region zu tun habe: Vom Kfz bis zu den Baugewerken, den Installateuren, der Gebäudetechnik, aber auch aus den Gesundheits- und Dienstleistungshandwerken. Das sind tolle Leute: Sie brauchen mehr denn je Fürsprecherinnen und Kämpferinnen für ihre Themen. Außerdem stört es mich, dass die Politik oft nur auf die Industrie schaut. Das beste Beispiel hierfür ist die Subventionierung des Strompreises für die Industrie. Wir, also die Verbraucher, aber auch die Handwerksbetriebe gehen leer aus. Das ist nicht fair und dazu wettbewerbsverzerrend!

 

Lieber Thomas, ihr beide kennt euch schon sehr lange. Was hat sich denn geändert seit euren Berufsanfängen und wie schätzt du die Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement ein?

Thomas Hahl: Ja, in der Tat, Jutta und ich kennen uns schon einige Jahren/ Jahrzehnten und es ist mega gut, wie sich Jutta engagiert – und dabei immer den Menschen im Fokus hat! Dafür bin ich sehr dankbar. Schon früher war es sehr wichtig, aber heute ist es wichtiger denn je, sich einzubringen und sich für unsere Gesellschaft, unsere Demokratie und den sozialen Zusammenhalt zu engagieren. Heute kommen im Vergleich zu den 80ern oder 90ern viele technologische und strukturelle Herausforderungen hinzu. Die Handwerksbranchen ändern sich rapide, von virtuellen Datenbrillen bis hin zu konzernähnlichen Strukturen der Betriebe. Viele haben noch den kleinen Handwerksbetrieb im Kopf, aber hier hat sich in der Betriebestruktur einiges verändert! Um uns herum häufen sich die internationalen Krisen. All das verunsichert viele. Gleichzeitig nimmt der soziale Zusammenhalt ab. Da müssen wir uns entgehen stellen, mit dem was wir als Gewerkschaft haben: Mit der Kraft der Solidarität. Wir setzen uns, ob bei Jutta im Betrieb oder in der Handwerkskammer, gemeinsam für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen ein.

 

Was sind die großen Themen, um die ihr euch als Arbeitnehmervertreter/innen gerade kümmert?

Jutta: Was uns extrem wichtig ist, ist das Thema Rente. Es kann nicht sein, dass politisch Verantwortliche hier geradezu unverantwortlich daherlabern und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters und damit eine massive Rentenkürzung fordern. Für viele hart arbeitende Handwerkerinnen und Handwerker ist das ein Frontalangriff auf ihre Lebensleistung und eine Gefahr, in Altersarmut abzurutschen. Wir brauchen mehr Wertschätzung und Unterstützung für die Menschen in diesen Branchen. Es gibt gute Rentenkonzepte, z.B. das der IG Metall. Hierüber sollte man reden, anstatt populistische Forderungen zu äußern.

Zu den wichtigen Themen gehören auch Qualifizierungsangebote für alle Beschäftigten, um für die Herausforderungen der heutigen Zeit fit und gewappnet zu sein. Oftmals wird das einem Gros der Beschäftigten noch vorenthalten oder nur spärlich angeboten.

Ganz wichtig ist mir auch das Thema Tarifbindung: Viele ehrliche Handwerker/innen, die nach Tarif zahlen, ziehen bei Ausschreibungen den Kürzeren. Und mit Tarif bekommen Beschäftigte ein auskömmliches Einkommen – das auch für eine ordentliche Rente reicht. Wir brauchen daher endlich wirkungsvolle Tariftreuegesetze, und zwar überall in der Republik. Da gibt es bisher nur auf low level.

 

Thomas, was können wir tun, um die Themen im Sinne der Beschäftigten umzusetzen?

Thomas: Ich unterstütze das, was Jutta sagt, mit Nachdruck. Gerade in der Debatte um das Thema Verlängerung der Arbeitszeit! Ob es die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit oder die Verlängerung der Lebensarbeitszeit betrifft, die Debatten gehen aus meiner Sicht an der Realität in den Betrieben vorbei. Wenn ich mir die Arbeitsplätze im Handwerk anschaue, dann ist weder ein 10- oder 12 -Stundentag möglich oder eine Arbeit bis 67 oder 70 Jahren. Für mich ist die Debatte um die Heraufsetzung der Rente nichts anderes als eine Rentenkürzung. Viele Menschen können nicht bis 67, 68 oder mehr arbeiten, diese Kolleginnen und Kollegen müssen dann früher in Rente und das mit einer dauerhaften Rentenkürzung.

Politiker, die das fordern, haben keine Ahnung von der Realität in den Betrieben. Deshalb werden wir diesen Angriffen mit gemeinsamer Kraft entgegentreten. Das hat auch was mit Wertschätzung zu tun.

Ich bleibe auch bei meinem Angebot, dass ich Merz und Co. einlade, mal an solchen Arbeitsplätzen zu arbeiten, um zu sehen, was harte Arbeit bedeutet. Beispielsweise in der Reifensaison dürfen die mal kommen.

Auch was die Arbeitsbedingungen in den Betrieben betrifft,  was früher die Regel war, ist heute oft nur noch die Ausnahme: Viele Betriebe sind nicht mehr tarifgebunden, deshalb brauchen wir eine Stärkung der Tarifbindung, auch mit Tariftreuegesetzen, mit einem größerem Bewusstsein und einer Kultur, die sagt: Ja, ich organisiere mich in einer Gewerkschaft. Und ja, wir definieren uns über gemeinsame Regeln in einem Tarifvertrag. Denn sogar manche Arbeitgeber klagen mittlerweile, dass Mitbewerber mit regelrechten Dumpingpreisen auf dem Markt sind.

Ich bin immer noch der Überzeugung, dass der Verkauf der Mercedes-Niederlassungen ein großer Fehler war und ist. Leider konnten wir diese Fehlentscheidung des Kapitals nicht verhindern. Umso wichtiger ist, dass wir in diesen Phasen uns beteiligen und Einfluss nehmen. Wenn notwendig müssen wir auch in den Häuserkampf um gute Arbeitsbedingungen mit Tarifverträgen gehen!

Ich finde es auch wichtig, dass es tragfähige Entschädigungs-/ Freistellungsregeln für ehrenamtliches Engagement z.B. in den Gremien der Handwerkskammer geben muss. Wir müssen die Selbstverwaltung im Handwerk stärken und dem Engagement nicht noch extra Steine in den Weg legen.

 

Jetzt im Spätsommer fangen viele Auszubildenden und Dual Studierende in den Betrieb neu an. Was möchtet ihr ihnen mitgeben?

 Thomas: Für viele beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt, der viele Herausforderungen mit sich bringt. Bei mir sind es fast 40 Jahre her, dass ich meine Ausbildung begonnen habe, aber ich erinnere mich noch heute, wie aufgeregt ich war. Freut euch und seid gespannt auf diese Zeit! Nutzt die vielen Angebote, lernt viel Neues und neue Leute kennen, organisiert euch in der IG Metall! Denn nur gemeinsam sind wir stark! Vielleicht sehen wir uns mal in der IG Metall – auf einem Seminar oder einer Veranstaltung. Ich würde mich sehr freuen.

Jutta:  Zunächst einmal: ich freue mich auf unsere neuen Azubis! Es wird viel über unsere Jugend gemotzt. Ich nehme in unserem Betrieb viele tolle junge Menschen wahr. Sie sind nicht schlechter als wir damals, aber anders.  Eines jedoch ist mir wichtig, unserer Jugend zu sagen: Ihr habt die Chance, Verantwortung zu übernehmen – gerade jetzt! Es ist so wichtig. Mein Appell lautet daher: Lasst uns Demokratie und Beteiligung stärken!

Nächstes Jahr sind übrigens die Betriebsratswahlen. Macht mit!

Da alle Mercedes Benz-Niederlassungen (knapp 8.000 Beschäftigte) an freie Erwerber verkauft werden sollen, brauchen besonders wir in 2026 einen starken Betriebsrat, der nicht nur schwätzt,sondern Dinge wirklich anpackt.

Ich bin in meiner Freizeit Hundetrainerin (wobei der Hund einfacher zu trainieren ist, als der Mensch 😉 Daher fällt mir oft der Vergleich ein: Wer bellt, muss auch beißen können! Dies gilt für alle, vom Azubi bis zur Führungskraft. Jede und jeder kann mit Kraft und Leidenschaft für ein gutes, soziales Miteinander eintreten.